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Montag, 25. Juni 2012

PS Keltische Kultur: Abschlussdiskussion

In unserem letzten Proseminartermin haben wir uns nochmals einen Überblick über die aktuellen Begriffs-Diskussionen (Kelten- und Kulturbegriff) vor Augen geführt und mögliche Anknüpfungspunkte einer kulturwissenschaftlichen Keltologie angesprochen. Die aktuelle Position des Faches an der Universität Wien und mögliche Alternativen wurden auch kurz diskutiert.

Wir alle sind aus unterschiedlichen Interessen zur Keltologie, bzw. zu keltologischen Themen gestoßen. Der wissenschaftliche Zugang, den wir uns angeeignet haben, ist in erster Linie darauf fokussiert, aus den vorhandenen Informationen möglichst realitätsnahe Schlussfolgerungen und Überlegungen zu erarbeiten, die uns die Rekonstruktion eines Kelten-Bildes (oder besser: mehrerer Kelten-Bilder) ermöglichen. Das Konzept der keltischen Kultur kann uns dazu durchaus dienlich sein; es sollte uns jedoch auch bewusst sein, dass uns durch die Fokussierung auf diese Perspektive andere Bereiche auch verschlossen bleiben werden. Ein gutes und nützliches Konzept ist nicht immer das (einzig) richtige (wie uns die Kulturkritik vor Augen geführt hat). Ebenso sollten wir uns der Problematik des Keltenbegriffes bewusst sein und unsere Theorien zu "keltischen" Themen entsprechend überdenken.

Ein wichtiges Fazit der im Proseminar besprochenen Themen ist, dass wissenschaftliche Begriffe und Theorien generell aus einer kritischen Perspektive angegangen, und nicht selbstverständlich und blind akzeptiert und angewandt werden sollten. Theorien und Konzepte werden immer in einem bestimmten Kontext erarbeitet, und sind dadurch auch nur für bestimmte Kontexte brauchbar, bzw. relevant. Ein wichtiger Aspekt ist, dass jegliche Theorie immer auch viele Bereiche ausklammert, die möglicherweise für die Beantwortung von Forschungsfragen auch relevant sein könnten. Zumindest aus einer (extrem) konstruktivistischen Perspektive betrachtet, handelt es sich bei allen wissenschaftlichen Ansätzen um Konstrukte, die von mehreren Faktoren abhängen, die nicht allein mit dem Forschungsgegenstand zu tun haben. Wenn man so will, ist auch Forschungsarbeit ein sozialer und kultureller Prozess.

Das Interesse an "den Kelten" ist auch in der Öffentlichkeit nach wie vor groß. Ein großes Problem, das immer wieder beobachtet wird ist, dass es für Laien, die sich einen "seriösen" Zugang zur Thematik verschaffen möchten, nahezu ein Ding der Unmöglichkeit ist, an "brauchbare" Informationen zu kommen. Besonders im Internet ist ein großes Über-Angebot an esoterischen und pseudowissenschaftlichen Seiten vorhanden; doch auch für ein nicht Fach-Publikum geeignete Publikationen sind kaum vorhanden. Hier besteht für die Keltologie auf jeden Fall Handlungsbedarf: es sollten mehr "pseudowissenschaftliche" Publikationen von Wissenschaftlern verfasst werden, die auf einfache und gut zugängliche Art das in der wissenschaftlichen Praxis erarbeitete Wissen vermitteln. Die Nutzung der neuen Medien sollte auch viel stärker einbezogen werden. Nur durch eine bessere Präsenz im Internet kann dem Über-Angebot an esoterischen (fehl-)Informationen entgegnet werden (beispielsweise durch die Erstellung eines Kelten-Wikis oder ähnlichem).

Ein weiteres Fazit ist die Forderung nach mehr Aktion. Sich nur über Probleme und Missstände zu unterhalten ist zwar ein guter Anfang, jedoch bringt dieser nicht weit, wenn danach eine Handlung aus bleibt. KeltologInnen sollten vermehrt mit ihren Forschungsergebnissen in die Öffentlichkeit treten, damit diese auch rezipiert werden. Dabei ist ein wichtiger Aspekt der Bezug zum Alltag, der auch in Forschungsbereichen, die sich auf ersten Blick gar nicht auf ihn beziehen, hergestellt werden sollte. Schliesslich leben wir im gegenwärtigen Alltag, und wir möchten unsere Forschungsergebnisse anderen Mitmenschen in verständlicher Art und Weise vermitteln. Die Forschungsarbeit, und v.a. ihre Vermittlung sollte sich nicht als etwas vom Alltag abgehobenem verstehen (auch wenn das Forschungsfeld gar nichts alltägliches ist). Mit gutem Beispiel für eine alltagsnahe Vermittlungsarbeit von höchst abstrakten Theorien geht uns Harald Lesch voran (z.B. http://www.youtube.com/watch?v=lsb558g5h4g).

Doch wie schaut der finanzielle Aspekt aus? Wie wir alle schmerzlich erfahren mussten, wird die kulturwissenschaftliche Keltologie an der Universität Wien als Fachbereich aussterben. Wir sind Teil der letzten Generation, die von diesem interdisziplinären Ansatz profitieren konnte. Dies erschwert zwar einerseits die Situation für diejenigen, die aus ihrer Passion - nämlich der Auseinandersetzung mit kulturwissenschaftlichen Fragen zu "den Kelten" - ihren Beruf machen möchten. Doch diese Situation sollte uns nicht alle Hoffnungen nehmen. Das breite Fachwissen und der inter-, bzw. transdisziplinäre Zugang zu verschiedenen Fachbereichen und Methoden ist eine große Stärke, die uns viele Tore öffnen kann. Die Diskurse um unsere wissenschaftlichen Begriffe und Konzepte - wie beispielsweise die "keltische Kultur" - sind durchaus auch auf andere Fachbereiche übertragbar. Verknüpfungen zu wichtigen Gegenwarts- und Alltagsthemen lassen sich zu Hauf herstellen und zum Zwecke der Beschaffung von Geldgebern vermarkten. Denn auch ohne in Esoterik oder "unseriöser" Pseudowissenschaft abzuschweifen können wir unsere wissenschaftlichen Konstrukte einem breiten Publikum auf fesselnde und bereichernde Art und Weise präsentieren. KeltologInnen sollten gerade in Zeiten, in denen eine universitäre Infrastruktur zusammenbricht, selbstbewusst, vernetzt und organisiert auftreten - und ihr Wissen und ihre Kompetenzen dazu nutzen, dies auf neuen und alternativen Wegen zu versuchen.

Ich möchte mich herzlich bei allen Proseminar TeilnehmerInnen herzlich für die rege Mitarbeit und der engagierten Beteiligung an den Diskussionen bedanken. Meine Ziele für das PS haben sich vollauf erfüllt und ich hoffe, dass nicht nur ich viele gute Anregungen, sowie neue Kontakte mitnehmen konnte.

Montag, 18. Juni 2012

Diskussion im PS Keltische Kultur: Ist Keltische Kultur eine sinnvolle Kategorie?

Nach der Zusammenfassung von kulturkritischen Ansätzen und deren Rezeption in Keltologie und Archäologie fand die zweitletzte Diskussionsrunde dieses Proseminars statt.

Wie wir eingangs des Proseminars bereits besprochen haben, tendiert der Kulturbegriff in seiner Definition und Verwendung im Alltag, aber auch in der wissenschaftlichen Praxis nicht hinterfragt zu werden. Kultur scheint ein selbstverständlicher Bereich des menschlichen Daseins zu sein. Seit der anthropologischen Wende in den Kulturwissenschaften, die in den 1960/70ern ihren Lauf nahm, ist Kultur ein wichtiges Interpretament geworden. In der Archäologie und in der Keltologie wird Kultur nach wie vor tendenziell als statische, homogene und abgeschlossene Kategorie aufgefasst. Prozessuelle Ansätze versuchen durch komplexe, sich in ständigem Wandel befindende Kulturkonzepte auf solche Modelle zu kontern. Post-prozessuelle Ansätze verweisen zudem auf den von der wissenschaftlichen Herangehensweise beeinflussten Konstruktcharakter solcher wissenschaftlichen Konzepte und Kategorien, sowie auf die notwendige wissenschaftliche Selbstkritik.

Die Verwendung der Kategorie "Kultur" kann im wissenschaftlichen Bereich durchaus sinnvoll sein. Doch die Fokussierung auf die Kategorie "Kultur" hat auch Nachteile. Vertreter der Kulturkritik haben darauf aufmerksam gemacht, dass die Beschränkung auf kulturelle Bereiche, wie habitueller Lebensstil (Anm.: Habitus im Sinne Bourdieus als ein kulturell bedingtes System von Dispositionen, auf dem Praktiken und Vorstellungen einer sozialen Gruppe basieren) oder ethnische Identität, zur Ausklammerung von sozialen Faktoren (z.B. Diskussionen über soziale Ungleichheit) führen kann. Ein wichtiger Nachteil der Überbetonung vom Kulturalen ist also der Verlust der sozialen Argumentationsebene, was die Konstruktion von einseitigen Weltbildern zur Folge hat .

Auch im Alltag ist "Kultur" ein etablierter Begriff, jedoch mit meist weit weniger kritischem Umgang. In der alltäglichen Praxis können wir bestimmte kulturelle Merkmale relativ spontan einer bestimmten Kultur zuordnen. Sprachen oder Dialekte verweisen auf die ethnische oder regionale Herkunft des Sprechers/der Sprecherin; Bräuche oder Umgangsformen lassen auf einen bestimmten kulturellen und habituellen Hintergrund schließen. Das Konzept von Nation und Nationalität (Stichwort: nationale Identität) ist auch stark an nationalen Kulturvorstellungen gekoppelt. Diese einfachen Zuordnungen basieren auf etablierten Vorstellungen der eigenen und von fremden Kulturen.

Im Alltag werden solche Vorstellungen tendenziell als unverrückbare Tatsachen, und nicht als soziale Konstrukte wahrgenommen. Schließlich liegen die beobachtbaren Unterschiede nicht am Auge des Betrachters, sondern lassen sich auf auf uralte Herkunft zurückgehende Beschaffenheiten zurückführen. Oder? Post-prozessuelle und konstruktivistische Ansätze gehen davon aus, dass Kategorien wie "Kultur", sowie die Wahrnehmung und Beschreibung von Kulturelementen in erster Linie nicht von einer in der Realität unabhängig vom Betrachter existierenden Sache, sondern vom Standpunkt des Beobachters abhängen. Der Standpunkt des Beobachters bestimmt, was wie erkannt wird, und was überhaupt erkannt wird.

Ein weiterer problematischer Faktor ist die Instrumentalisierung der Kategorie "Kultur" im sozial-politischen Kontext. In der letzten Proseminar Einheit haben wir darüber diskutiert, wie Elemente keltischer Kultur beispielsweise dazu herangezogen werden, um moderne sozial-politische Identitäten zu konstruieren. In der Alltags-Praxis herrschen vorwiegend Vorstellungen vor, die Kultur als etwas eindeutiges, abgeschlossenes und besonders charakteristisches, bzw. authentisches begreifen. Durch den nicht kritischen Umgang mit kulturellen Argumenten werden konstruierte Wahrheiten schnell mal als Tatsachen akzeptiert.

Was für Konsequenzen sollten wir ForscherInnen daraus ziehen? Soll der Kulturbegriff, oder ein Konzept keltischer Kultur als wissenschaftlicher Kategorie aufgegeben werden?
Gerade weil Kultur und ähnlich problematische Kategorien wie ethnische Identität in aktuellen sozialen Diskursen wichtige und nach wie vor problematische Bereiche des Alltags ausmachen ist es wichtig, sich auch im wissenschaftlichen Bereich mit diesen auseinander zu setzen. Die aktuelle EU Kampagne "Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung." zeigt, dass Themen wie Rasse, ethnische Herkunft, usw. nach wie vor brandaktuell sind. Die kritischen und aus mehreren Perspektiven erarbeiteten Positionen aus wissenschaftlichen Fachbereichen können, wenn adäquat für eine alltägliche Rezeption aufbereitet, den gesellschaftlichen Diskurs bereichern und Einseitigkeiten entschärfen.

Im Bereich der Keltologie oder der Archäologie sind Alltagsthemen natürlich nur zweitrangig interessant. Zumindest auf dem ersten Blick. Doch darf man nicht vergessen, dass 1. WissenschaftlerInnen in den zeitgenössischen Alltag eingebunden sind und somit von akuellen Diskursen mindestens indirekt beeinflusst sind (Stichwort: Zeitgeist), und 2. dass gerade archäologische oder keltologische Themen gerne herangezogen werden, um Mythen und Traditionen zu schaffen. Ein Einbeziehen der Gegenwarts-Perspektive und die Forderung nach Aufbereitung der Forschungsergebnisse für ein breites öffentliches Publikum macht also mehrfach Sinn. Ein möglicher Ansatz, um kritische Anschauungsweisen bei einer breiteren Öffentlichkeit zu fördern könnte sein, interessierte Menschen auf problematische Annahmen aufmerksam zu machen. Dazu ist es allerdings notwendig die komplexen und Alltags-fernen, wissenschaftlichen Überlegungen alltagstauglich (sprich: allgemein verständlich) zu machen. Manchmal reicht vermutlich nur der Hinweis auf eine vermeintlich offensichtliche Tatsache, um kritische Überlegungen und Hinterfragen hervorzurufen.

Was die Sinnhaftigkeit einer Kategorie "Keltische Kultur" angeht, sind sich alle DiskussionsteilnehmerInnen einig, dass vorherrschende Vorstellungen einer einst über das gesamte Europa verbreiteten, einheitlichen keltischen Kultur nicht dem heutigen Stand der Forschung entsprechen. Aktuelle Kulturmodelle, die versuchen Kultur als eine prozessuelle, komplexe Kategorie zu begreifen, sowie kulturkritische Ansätze sollten in jedem Fall berücksichtigt werden, wenn mit dem Begriff "Kultur" operiert wird. Und zugleich sollten sich die WissenschaftlerInnen ihrer eigenen Perspektive und habituellen Disposition bewusst sein, die sie in ihren Überlegungen und Sichtweisen beeinflussen.

Montag, 11. Juni 2012

Diskussionsrunde PS Keltische Kultur: Moderne Kelten und Keltomanie

Die heutige Lehrveranstaltungseinheit widmete sich den modernen Kelten und ihrer Identitätssuche in der Antike, bzw. im inselkeltischen Mittelalter. Nach einem Überblick über die vielfältigen Konnotationen des Keltenbegriffes in heutigen Alltagskontexten, insbesondere wenn es um Identitäten wie "Irishness" und "Welshness" oder esoterischen Bewegungen geht, fand erneut eine angeregte Diskussion statt.

Die Betonung der eigenen keltischen, bzw. spezifisch gälischen oder walisischen Identität von noch heute Keltisch sprechenden Randgruppen lässt sich auf eine emanzipatorische Auflehnung gegen eine aus historischen Gründen mächtigere und unterdrückende politische Macht zurückführen. Aufgrund der linguistischen Verwandtschaft der noch lebendigen keltischen Sprachen lässt sich einerseits ein gemeinsamer, inselkeltischer Ursprung rekonstruieren, andererseits eine Kontinuität zu den altkeltischen Sprachen ziehen, die auf dem europäischen Kontinent bezeugt sind. Sprache ist neben weiteren kulturellen Eigenheiten ein wichtiges Element, das zur Konstruktion von ethnischen oder nationalen Identitäten herangezogen wird.

Das Grundverständnis von Ethnien und Nationen geht auf völkische Ideen des ausgehenden 18./19. Jhs zurück. Noch heute besteht die idealisierte Vorstellung, dass Völker bzw. Ethnien einen gemeinsamen biologischen, oder zumindest kulturellen Ursprung haben, und dadurch von derselben Sprache und Kultur charakterisiert sind. Das Konzept von Nation gründet auf denselben Vorstellungen. Der Zusammenhalt ethnischer Gruppen oder Nationen wird durch die Betonung ihrer gemeinsamen Identitäten begründet und gestärkt. Um diese Identität zu begründen werden lokale Traditionen  auf möglichst alte, gemeinsame Ursprünge zurückgeführt. Die hergestellten Kontinuitäten von mittelalterlichen, antiken oder gar älteren Kulturen werden seit den 1960er Jahren in kritischen Ansätzen als Konstrukte entlarvt, die nur unter bestimmten und stark vereinfachenden Voraussetzungen als Erklärung von sozialen und kulturellen Vorgängen dienlich sein können.

Im Alltag ist der Umgang mit solchen Vorstellungen tendenziell weniger kritisch als im wissenschaftlichen Kontext. Im (kultur)politischen Kontext werden mittelalterliche und antike "keltische" Quellen dazu verwendet, um ideologische oder politische Vorstellungen nach eigenem Gutdünken zu begründen und zu untermauern (Stichwort: Kulturerbe). Politisch aktive Gruppen berufen sich auf ihre keltischen Vorfahren und benutzen dieses Mittel zur Begründung und Untermauerung der eigenen Positionen und Rechte.

Im Bereich der "Kelten"-Literatur existieren viele pseudowissenschaftliche und esoterische Ansätze, die in erster Linie von romantischen und fiktionalen Vorstellungen geprägt sind. Fantasy Romane, Comics, aber auch geistige Führer mit alten "keltischen" Weisheiten und dergleichen füllen die Regale im Buchhandel. Nebst zahlreicher esoterischer Literatur gibt es auch aktive Keltenmystik-Revivals. Druidenseminare werden angeboten, um ursprüngliche und authentische Rituale fortzuführen, die vor der Dekadenz der modernen Gesellschaft bereits existiert haben. Darüberhinaus existieren mehrere aktive Druidenorden. Die Suche nach Ursprünglichkeit und Authentizität ist mit dem Bedürfnis nach Sicherheit, sowie dem romantischen Wunsch dem modernen Alltag zu entfliehen verbunden. Der Rückzug in die Mystik bildet ein Ausgleich zur modernen hektischen und entmystifizierten Welt.

Wie Umfragen gezeigt haben, kursieren im Alltag zahlreiche, im wissenschaftlichen Verständnis falsche Vorstellungen zu "den Kelten". Dies liegt unter anderem auch daran, dass fiktionale und esoterische Literatur u.a. Medien zahlreicher und leichter zugänglich sind als Fachliteratur. Die Suche nach "seriösen" Informationsquellen zu "den Kelten" gestaltet sich v.a. für interessierte Laien schwierig. Doch ist nicht auch wissenschaftliche Literatur deswegen schwieriger erreichbar, weil sich WissenschaftlerInnen mit ihren FachkollegInnen abgrenzen und die Diskurse im berühmten Elfenbeinturm verhallen? Wissenschaftliche Ansätze sind oft stark vom Alltäglichen abgehoben (theoretisch, keinen Bezug zum Alltag) und in einen für Laien nicht leicht durchschaubaren Kontext eingebunden (sprachlich und inhaltlich komplex oder sehr teilspezifisch). Es ist Teil der Vermittlungsarbeit die Themen Zielpublikumsgerecht aufzuarbeiten und in die Öffentlichkeit zu tragen.

Die starke Präsenz von bereits auf bestimmte Art und Weise etablierten keltologischen Themen in Alltags-Nischen erschwert die Vermittlungsarbeit von WissenschaftlerInnen. "Die Kelten" sind ein noch immer aktuelles, höchst modisches und vermarktbares Thema. Die verfügbaren Informationen gestalten sich dementsprechend.

Ein weiterer Aspekt ist, dass es nicht nur ein Zielpublikum gibt. Je nach Beweggrund für das Interesse an "den Kelten" unterscheiden sich die Zugänge zur Thematik. Nicht alle Kelten-Interessenten werden sich für nicht mystische oder esoterische Ansätze begeistern lassen. Im alltäglichen Kontext ist der Zugang zur Kelten-Thematik wohl eher auf persönlicher und unmittelbarer Ebene angesetzt (z.B. Ausdruck des eigenen Zugehörigkeitsgefühl, oder einer persönlichen Empfindung/Leidenschaft). Auch deswegen ist wohl fiktionale oder esoterische Kelten-Literatur beliebter (da leichte Lektüre!). Die unkritische Darstellung von mystischen und fiktionalen Konstrukten als wissenschaftliche Tatsachen ist jedoch problematisch. Die Instrumentalisierung von uralten "Tatsachen" zu ideologischen oder politischen Zwecken ist ebenso problematisch zu werten (vgl. die Germanomanie in der ersten Hälfte des 20. Jh.!).

Wissenschaftliche Arbeit grenzt sich bewusst von pseudowissenschaftlichen bzw. esoterischen Ansätzen ab. WissenschaftlerInnen versuchen die Thematik auf möglichst objektiver, bzw. intersubjektiver Weise anzugehen. Eine wissenschaftliche Herangehensweise scheint im Unterschied zu romantischen und fiktionalen Ansätzen Schlussfolgerungen zu ermöglichen, die auf tatsächlichen historischen Fakten basieren. Doch ist die Grenze zwischen Wissenschaftlichkeit und Unwissenschaftlichkeit wirklich so klar auszumachen?

Wie wir im Proseminar bereits mehrfach diskutiert haben sind auch wissenschaftliche Ergebnisse von bestimmten Kontexten und Prämissen abhängig. Nur mit klaren Beschränkungen und Festsetzungen durch den/die WissenschaftlerIn lassen sich Bedeutungen und Aussagen konstruieren; historische oder kulturwissenschaftliche Tatsachen per se existieren nicht. Auch historische Fakten werden konstruiert und hängen von der Perspektive des Betrachters ab. Wie Pseudowissenschaftler und Esoteriker sind auch Wissenschaftler in besondere und Lebenskontexte (und auch Forschungskontexte!) eingebundene Individuen. Durch diese wird ihre Arbeit bewusst oder unbewusst beeinflusst. Die politische Einstellung der Forscherpersönlichkeit beispielsweise lässt sich nicht ausschalten: die Aussagen, die durch ihre wissenschaftliche Forschung getroffen werden, werden nie der politischen Einstellung der ForscherIn widersprechen. Wegen der starken Prägung durch den eigenen Alltag projizieren ForscherInnen aktuelle Positionen und Sichtweisen automatisch auf die Vergangenheit. Produzierte Bilder von Vergangenheit sind keine Tatsachenwiderspiegelungen, sondern zeitspezifische Interpretationen und Darstellungen von Inhalten. Sie hängen immer mit kulturellen, politischen, religiösen etc. Aspekten der ForscherInnen und ihrer Forschungsgemeinde zusammen. Die Motive der ForscherInnen können zudem durchaus ähnliche sein wie die von politisch aktiven Keltomanen. Und nicht zu vergessen ist auch die Tatsache, dass keltische Forschungen oft nur dann finanziert werden, wenn die Ergebnisse irgendwie vermarktbar sind, was letztere durchaus auch beeinflussen kann.

Eine wichtige Aufgabe der Keltologie ist es, mit kursierenden unkritischen Ansätzen aufzuräumen. Doch ebenso wichtig ist der (selbst)kritische Umgang mit den eigenen Theoriegebilden.
Ein weiterer Aspekt ist die Berücksichtigung der im Alltag neu benutzten und umgesetzten keltologischen Themen. Die modernen Kelten, in politischen, esoterischen und anderen Kontexten, sind Realität, auch wenn ihre Vorstellungen auf aus wissenschaftlicher Perspektive falschen Tatsachen basieren. Keltologische Ansätze sind auch immer eine Antwort auf den modernen Umgang mit keltologischen Themen im Alltag.

Wenn sich die Keltologie im heutigen Alltag positionieren möchte, sollte sie sich auch mit soziologischen Ansätzen und der Alltagsforschung der "modernen Kelten" auseinandersetzen. "Die Kelten" sind für viele zeitgenössische soziale Gruppen und Individuen wichtige Instrumente der Identitätbildung. Wenn dieser Bereich ausgeklammert wird droht die Gefahr, dass die kritische Rezeption der zahlreich kursierenden Mythen nicht stattfindet. Dazu ist eine angebrachte Herangehensweise notwendig. Keltologische Ansätze sollten nicht moderne Identitäten zerstören bzw. aufklären wollen, sondern die herangezogenen Kontexte aufbereiten und damit einhergehende Problematiken thematisieren. Dies kann ein wichtiger Bereich der breiten, kulturwissenschaftlichen Keltologie sein.

In der heutigen Diskussion wurden viele wichtige und aktuelle Punkte einer kritischen Perspektive auf die keltologische Forschungsarbeit und die keltischen Themen im Alltag angesprochen. Durch diesen kurzen Blog-Beitrag konnte kaum allen Aspekten gleichermaßen Rechnung getragen werden. Alle bisherigen Diskussionsbeiträge sind im Grunde erster Ansätze für weiterführende Überlegungen. Ich hoffe, dass die kurzen Abrisse, die einen Einblick in die Diskussionen bieten, weiteren ForscherInnen zur Anregung dienen können.

Montag, 4. Juni 2012

Diskussionsrunde PS Keltische Kultur: Kontinuität als Mittel der Identitätsherstellung

Die heutige Diskussion fand nach einem Vortrag statt, der verschiedene Aspekte der Herstellung von Kontinuität zwischen antiken und modernen Kelten kritisch zusammenfasste. Davon ausgehend wurde auch die Thematik der sozialen Konstruktion von Identitäten aufgegriffen.

Der Blick in die Vergangenheit und in die eigene Geschichte, sowie die Suche nach den Wurzeln der sozialen Gruppe, der man angehört, gehören zu den menschlichen Bedürfnissen. Das Wissen um die eigene Abstammung, sowie um die Traditionen und Bräuche, die die eigenen Leute von anderen unterscheiden, ist in Mitteleuropa seit Generationen ein wichtiges Mittel zur Begründung und Stärkung von Identitäten sozialer Gruppen. Kultur ist in dieser Vorstellung eine stark an die ethnische Gruppe gebundene Einheit und fusst in den Vorstellungen von Volkskultur aus dem 19.Jh.

Vorstellungen zum Funktionieren und der Beschaffenheit von sozialen Gruppen, die aus den völkischen Theorien des 19.Jh. stammen, überdauern zum Teil bis heute. In Fächern wie z.B. der Europäischen Ethnologie, die in Österreich direkt an der Mitbegründung des ideellen und rassischen Rahmenwerkes des Nationalsozialismus beteiligt waren, setzte man sich ab den 1960er Jahren intensiv mit den Problematiken der völkischen Kategorien und Vorstellungen auseinander. Die rassischen Elemente wurden im laufe der darauf folgenden Jahrzehnte getilgt und die Theorien differenziert. Doch in anderen kulturwissenschaftlichen Fächern begann die kritische Auseinandersetzung mit derselben erst weit später. Seit den 1990ern werden auch in der Keltologie die ethnisch konnotierten Kategorien der keltischen Sprache, der keltischen Kultur, sowie die des keltischen Volkes dekonstruiert.

In der kulturwissenschaftlichen Keltologie ist die Auseinandersetzung mit Kontinuität ein wichtiges Element, basiert doch die Definition des Forschungsfeldes auf die modern hergestellten Zusammenhänge zwischen antiken Kelten, den uns erhaltenen Informationen zu ihrer Kultur und Sprache, den mittelalterlichen Inselkelten und den modernen Kelten. Auch populärwissenschaftlich oder ideologisch hergestellte Kontinuitäten, die versuchen einen möglichst alten und keltischen Ursprung einzelner Traditionen zu begründen (siehe Wicca-Kult) können ein Anwendungsgebiet kritischer Überlegungen sein.

Hierbei sollten auch Gender Aspekte nicht außer Acht gelassen werden. Die meisten gängigen Theorien wurden aus männlicher Perspektive geschrieben und sollten auch diesbezüglich kritisch durchdacht werden. Die Beschreibung und Wertung von kulturellen Elementen ist immer vom sozial-politischen und wissenschaftlichen Umfeld des Forschers/der Forscherin beeinflusst bzw. geprägt. Nicht nur das Erkennen und Beurteilen von kulturellen Elementen, sondern auch die damit erzeugten Aussagen und Ergebnisse hängen damit zusammen. Die ForscherInnen sind alle Individuen, die unweigerlich ihre persönliche Note in die Forschungsergebnisse einfließen lassen, und sich zugleich in eine Strömung ihres Zeitgeistes einreihen. Bestehende Theorien sollten auch auf diese Aspekte hin untersucht werden.

Ein weiterer Aspekt, der erwähnt werden muss, ist die Unterscheidung zwischen biologischer und sozialer Ebene. Das biologische Geschlecht (Sex) und das soziale Geschlecht (Gender), genauso wie biologische Verwandtschaft (Spezies) und soziale Zusammengehörigkeit (Ethnos) sollten auseinander gehalten werden. Diese verschiedenen Aspekte tendieren in Gender-Diskussionen, sowie in Auseinandersetzungen um Gruppenidentitäten zum Teil nach wie vor nicht differenziert zu werden. Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen genetischen und sozialen Phänomenen/Prozessen. Die Wahrnehmung derselben im Zuge der Selbstpositionierung von Individuen und Gruppen kann jedoch diesen Anschein erwecken, wenn die kritische Auseinandersetzung mit der angewendeten Bewertung der ausschlaggebenden Faktoren aus bleibt.

Wenn es um Selbst-Identifikation von Individuen und Gruppen geht, spielen mehrere Ebenen eine Rolle. Die individuelle Ebene wird in Sozialtheorien meist ausgeblendet, da diese den Sachverhalt zu komplex halten würde um brauchbare Sozialtheorien zu formulieren. Doch sollte nicht vergessen werden, dass sich eine Gruppe aus einer Vielzahl an Individuen zusammensetzt, und diese untereinander und mit der Gruppe als Bezugsrahmen in ständigem Kontakt und Wechselwirkung sind. Dies bedeutet einerseits, dass das Gruppen-Modell ebenfalls eine Vereinfachung der Realität ist; und andererseits, dass sich Gruppenidentitäten ständig mit den Menschen weiterentwickeln und verändern. Dies ist auch bei der ethnischen Identität der Fall: jegliche Identität ist ein ständiger Akt des Aushandelns von Selbstpositionierungen von Individuen und Gruppen.

Im Prozess des Konstruierens keltischer Kultur spielt noch ein weiterer Faktor eine wichtige Rolle. Je nach dem aus welcher Perspektive die Kultur beschrieben wird (von außen/von innen; bzw. vom Zentrum/von der Peripherie) können andere Elemente/Faktoren betont werden und unterschiedliche Kultur-Bilder generiert werden. Beschreibungen keltischer Kultur in Antike sowie in der Moderne wurden allesamt aus einer zentralisierten Perspektive von außen formuliert. "Die Kelten" scheinen so schon immer an den Rand gedrängte, unterdrückte Bevölkerungsgruppen gewesen zu sein, obwohl diese Formulierung nicht zwingend den Tatsachen entsprechen muss. Da eine Beschreibung von innen in der Antike gänzlich fehlt, lässt sich auch nicht feststellen, inwiefern dies von "den Kelten" selbst auch so wahrgenommen wurde. Die Rezeption dieser Beschreibungen der "Kelten" liefern hervorragenden Stoff für die Konstruktion moderner, auf uralte Wurzeln zurückgehende Identitäten von kulturellen Randgruppen Europas (z.B. von Sprecher keltischer Sprachen).

Die Gründe für die Zurückführung von Traditionen und kulturellen Elementen auf keltische Vorfahren können mannigfach sein. Wichtig ist zu betonen, dass es sich in jedem Fall um modern konstruierte Kontinuitäten handelt. Im Zuge der modernen Auseinandersetzung mit den "keltischen" kulturellen Elementen (wissenschaftlich), bzw. des Wiederaufgreifen derselben im Alltag, werden diese neu kontextualisiert und instrumentalisiert. Die Identifizierung der kulturellen Elemente sowie deren Wertung hängen von der Perspektive des Betrachters ab, sowie von seiner theoretischen und ideellen Positionierung (theoretischer und methodologischer Rahmen; Zweck der Untersuchung/Aussagen). Die Herstellung von Kontinuitäten basiert meist auf einfache Analogieschlüsse, deren Bedeutungsgrad zu hinterfragen ist. Das Festmachen des Ursprungs von Traditionen und dessen, was soziale Gruppen wirklich ausmacht (das Authentische) ist ein relativ einfaches und effektives Mittel um (Macht-)Positionen zu begründen, zu stärken und zu erhalten. Kontinuität vermittelt ein gewisses Grad an Sicherheit: "das war schon immer so" bedeutet die Beibehaltung von alt bewährtem.

Über mich

Wien, Austria
Junior Researcher at AIT, Austrian Institute of Technology in Vienna.