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Montag, 16. April 2012

PS Keltische Kultur: Diskussion zum Keltenbegriff

Nach einem Überblick über den aktuellen Forschungstand und der Problematik des Keltenbegriffes fand die zweite anregende Diskussionsrunde des Proseminars statt.

Nach den ernüchternden Ergebnissen der Kritik an den Keltenbegriff, der sich als modernes Konstrukt basierend auf Vorstellungen des 19. Jh. erwiesen hat, drängt sich die Frage nach neuen Ansatzpunkten in der Keltenforschung auf. Einerseits besteht das methodische Problem der Verknüpfung der Quellen aus verschiedenen Fachrichtungen, nämlich der Sprachwissenschaft, der Alten Geschichte und der Archäologie. Andererseits erfordert die Auseinandersetzung mit dem Konzept von keltischer Kultur die Verknüpfung von Ergebnissen und Informationen aus den unterschiedlichen Fachbereichen: Aus der Perspektive einer einzelnen Disziplin können nur einseitige Modelle von keltischer Kultur erarbeitet werden. Es müssten also gemeinsame Nenner mehrerer Fachgebiete gefunden werden, um eine Kelten-Definition zu liefern. Direkte Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Quellengattungen herzustellen ist jedoch problematisch, was eine klare Definition der eisenzeitlichen Kelten schier unmöglich macht.

Ein weiteres Problem ist die Weite, die der Keltenbegriff im Laufe der Forschungsgeschichte erfahren hat. Durch die Herstellung von Kontinuitäten zwischen den antiken Kelten und den Inselkelten - und in weiterer Folge die Verbindung mit den modernen Kelten, erfasst der Begriff viele verschiedene Gesellschaften aus unterschiedlichen Zeiten und Orten. Die Zusammenhänge, die wir zwischen den noch heute keltische Sprachen sprechenden Gesellschaften und den antiken Kelten finden könnten, sind kein Hinweis auf typisch keltische Attribute.
Die "keltischen" kulturellen Elemente müssen ebenfalls nicht zwingend zusammenhängen (z.B. keltische Sprache, keltische Identität, keltische Kultur). Diese Annahme fusst in den nationalistisch geprägten Forschungen des ausgehenden 19. Jh.

Auch außerhalb der Wissenschaften ist der Keltenbegriff ein stark verwendeter und rezipierter Begriff, wo er meist eigene Formen annimmt. Das Interesse an alte Kulturen und Ethnien ("Völker") ist mit der eigenen Identitätsfindung zu begründen. Im Alltag beschäftigt man sich kaum kritisch mit Kategorien wie "Kelten" oder "kelisch". Dies hängt nicht nur mit der anderen Herangehensweise als die der akademischen ForscherInnen zusammen. Die Problematik und Kelten-Kritik wird in Ausstellungen etc. oft nicht präsentiert; in Museen findet sich neben wissenschaftlichen Publikationen auch esoterische Literatur, wie z.B. zum "keltischen Baumkreis". Im Geschichts-Unterricht wird am Rande auf "die Kelten", eines der Urvölker Europas, eingegangen - Erklärungsmodelle aus dem 19. Jh. werden unreflektiert weitergegeben.

Die nächste Frage, die sich aufdrängt ist, ob durch die Dekonstruktion (salopp formuliert die "Zerstörung") des Keltenbegriffes uns KeltologInnen die Forschungsgrundlage entrissen wird. Die Antwort kommt schnell: nein. Gerade weil die Erkenntnisse sich häufen, dass der Keltenbegriff ein modernes Konstrukt ist, sind ForscherInnen gefragt, die sich mit den bisherigen Irrtümern auseinandersetzen. Die kulturwissenschaftliche Keltologie kann ein Bindeglied zwischen den verschiedenen Disziplinen sein, die sich in ihrem Rahmen mit dem Keltenbegriff und dessen Kritik auseinandersetzen. Jedes akademische Fach hat seine eigenen Fachgebiete und Methoden, innerhalb derer es operiert. Die kulturwissenschaftliche Keltologie könnte versuchen diese Ansätze - mit dem Medium des Kelten-Konzeptes - interdisziplinär zu verknüpfen, um auf weitere und breiter angesetze Erkenntnisse zu kommen.

Auch wenn die Suche nach gemeinsamen Nennern und deren Einbindung in einen methodologisch sinnvollen Rahmen scheitert, ist dies kein Grund die kulturwissenschaftliche Keltenforschung nicht zu legitimieren (obwohl an der Universität Wien bereits das letzte Stündchen dieses Studiums geschlagen hat). Die Feststellung, dass es keine klare Atwort zur Frage "Wer sind die Kelten?" gibt, ist der Startschuss für die Suche nach neuen Kategorien und Erklärungsmodellen, die unter Umständen zu einer Umbenennung des Faches führen könnten.

Die Problematik des Keltenbegriffes und den damit zusammenhängenden Konzepten ist brandaktuell im heutigen Forschungs-Kontext. Die Keltologie könnte einen neuen theoretischen Rahmen liefern, um die verschiedenen Disziplinen Sprachwissenschaft, Alte Geschichte und Archäologie zu unterstützen, die wie die KeltologInnen mit den post-konstruktivistischen Trümmern des Keltenbegriffes umzugehen versuchen. Neben der Auseinandersetzung mit diesen Konzepten und Theorien ist auch der kritische Blick auf die eigene Positionierung im wissenschaftshistorischen Kontext zentral.

Im aktuellen Forschungs-Kontext wird nach immer komplexeren und dynamischeren Erklärungsmodellen gefragt. Diese erfordern eine andere Forschungsarbeit als sie bisher üblich war: verstärkte Vernetztheit und Kooperation von ForscherInnen Gruppen könnte eine Möglichkeit sein, um dies zu bewältigen.

Die Begriffe "Kultur" und "Kelten" haben in den letzten Jahrzehnten beide starke Kritik erfahren. Der Schrei nach einer recht tiefgreifenden Umorientierung innerhalb der Kulturwissenschaften und der Altertumswissenschaften ist laut. Nach der heutigen Diskussion zu urteilen scheint die junge ForscherInnen-Generation dieser Herausforderung positiv entgegen zu sehen, trotz den sich häufenden existenziellen Schwierigkeiten im akademischen Bereich.

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Über mich

Wien, Austria
Junior Researcher at AIT, Austrian Institute of Technology in Vienna.