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Montag, 21. Mai 2012

Diskussionsrunde PS Keltische Kultur: Materielle Kultur und die Objektbedeutung

Die heutige Diskussion fand nach einer kritischen Zusammenfassung von Beiträgen zur Interpretation materieller Kultur in der Archäologie (in erster Linie zum Thema der Identifikation von althistorisch bezeugten Ethnien in archäologischen Kulturen), sowie dem kulturwissenschaftlichen Ansatz der Objektbedeutung statt.

Die Deutungen materieller Kultur hängen wie alle Kulturinterpretationen mit der Perspektive und der Herkunft/dem Umfeld des/r Wissenschaftlers/in zusammen. Die Interpretationsmodelle zu den keltischen Fürstensitzen/Fürstengräbern wurden beispielsweise allesamt von Männern aus einem mitteleuropäischen, gebildeten und gut situierten Kontext ausformuliert. Die erarbeiteten Modelle hängen stark mit dieser Position zusammen, und es ist legitim zu fragen, wie sie ausgesehen hätten, wenn sie z.B. von Frauen konstruiert worden wären.

Am Beispiel von Kröten-Votivgaben in unterschiedlichen Kontexten lässt sich gut zeigen, wie Objektbedeutungen aus männlicher und weiblicher Perspektive unterschiedlich gedeutet werden. Der Bedeutungskontext von Fruchtbarkeit oder Gebärmutter wird interessanter Weise z.T. positiv (eher aus weiblicher Perspektive) und negativ (eher aus männlicher Perspektive) gedeutet.
Im prähistorischen Kontext werden diese Gaben in einen primitiven Kontext gestellt: die neolithischen Gesellschaften kannten ja die biologischen Ursachen einer Schwangerschaft nicht, und verehrten die Kröten wohl aufgrund der Ähnlichkeiten von menschlichen Föten und Kaulquappen in bestimmten Stadien. Dieser Erklärungsansatz zeigt zwar eine plausible Erklärung für die Kröten-Votivgaben auf, expliziert jedoch zugleich eine moderne Perspektive auf vergangene Kulturen, die von vornherein als primitiv eingestuft werden.

Einige Ansätze der Interpretation archäologischer Artefakte gehen davon aus, dass es Objektbedeutungen gibt, die leichter zu erschließen sind; vornehmlich die technischen Aspekte (Herstellung, Benutzung), die mit dem Material- und Objekteigenschaften zusammenhängen. Anhand von Methoden der experimentellen Archäologie lassen sich Herstellung und Gebrauch erproben und rekonstruieren. Die Experimente liefern auf ersten Blick harte Fakten, auf die sich plausible Modelle basieren lassen.

Die kulturell bedingte semiotische Bedeutung von Dingen scheint schwieriger nachzuvollziehen sein. Dies liegt wohl in erster Linie daran, dass Hinweise auf kultursemiotische Informationen schwieriger zu isolieren sind. Sobald man sich auf Grundsätze festlegt (z.B. kulturelle Konstanten), ist man mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass diese kritischer Überprüfung schnell mal nicht standhalten. Dies hängt in erster Linie damit zusammen, dass eine Vielzahl an Erklärungsmodellen von sozialen und kulturellen Strukturen und Prozessen existiert. Der Forscher/die Forscherin muss sich im Vorfeld auf ein Modell einigen und das Material anhand dessen verarbeiten. Die Deutung des Materials kann nur im Kontext dieses bestimmten Modells funktionieren - und in anderem Kontext widerlegt werden.

Sollte sich die Altertums-Forschung also besser nicht mit kultursemiotischer Objektbedeutung auseinandersetzen, zumal diese ohnehin nicht klar festzustellen ist, bzw. von der jeweiligen Perspektive (Betrachtung von aussen/innen; individuelle Position und Positionierung; etc.) abhängig ist? Die Lösung sich über Dinge auszuschweigen, über die man zu wenig weiss, scheint für die DiskussionsteilnehmerInnen keine vertretbare Option zu sein.

Die postprozessuale Archäologie hat sich für die Zuwendung zu kommunikationstheoretischen Erklärungsmodellen in der Archäologie stark gemacht. Durch das Fehlen der schriftlichen bzw. mündlichen Ebene bleiben zwar viele Sphären kulturwissenschaftlicher Information verschlossen, doch das Material auf seine funktionale und materielle Ebene zu reduzieren bedeutet zugleich die Verwendung eines stark eingeengten Kulturmodells. Die symbolische Bedeutung ist ein wichtiger Bestandteil jeder Kultur und von menschlichem Handeln, nicht zuletzt auch von Objekten/Artefakten. Dieser gilt es in angemessener Weise Beachtung zu schenken.

Mehrere Faktoren, die die Entstehung gängiger Theorien beeinflussen lassen sich festmachen. Neben der quellentechnischen Fokussierung (z.B. archäologische Funde und -komplexe) bestimmen kulturelle, zeitgeschichtliche und wissenschaftliche Position der ForscherInnen die Forschungsergebnisse mit.

Weiters besteht z.T. das Problem fachlicher Einseitigkeit von wissenschaftlichen Arbeiten. In Archäologie sowie in anderen Fächern werden Bemühungen in Richtung Inter- bzw. Transdisziplinarität immer wieder unternommen. Doch ist auch eine starke Tendenz zu beobachten, dass sich Fachvertreter gegenüber anderen Disziplinen behaupten müssen und sich auch deswegen in ihre methodischen und theoretischen Grenzen zurückziehen. Unter anderem deswegen entstehen Rekonstruktionsmodelle, die allein auf die Deutung materieller Überreste von vergangenen Gesellschaften basieren - ohne zu berücksichtigen, dass materielle Kultur nur ein Teil der gesamten Kultur ist. Die Überlieferungslücken werden übergangen und in den Überlegungen nicht berücksichtigt. Eine weitere problematische Tendenz ist, die materielle Kultur getrennt von der nicht-materiellen (mentalen) Kultur-Ebene zu betrachten.

Im Endeffekt handelt es sich bei allen Erklärungsmodellen um zeitgeschichtlich und gesellschaftlich/kulturell bedingte Konstrukte. Einige scheinen zeitweise plausibler und treffender zu sein, doch dies ändert sich mit der Zeit und den WissenschaftlerInnen-Generationen. Am Beispiel der Begriffs-Benennungen lässt sich dies gut aufzeigen. Der Terminus "Fürstengrab" beispielsweise wurde im Kontext eines kulturhistorischen Ansatzes aus einem plausiblen Analogieschluss gewählt. Aus heutiger Perspektive sind mit dem Terminus zahlreiche Probleme verbunden, die entweder neue Definitionen oder gar die Forderung nach Umbenennungen nach sich ziehen können. Durch die gewählten Benennungen werden den bezeichneten Inhalten bereits semantische Beschränkungen aufgedrückt; ein weiteres Element, das es zu berücksichtigen gilt.

Im österreichischen Mockumentary "Das Fest des Huhnes" wird die Problematik der kulturellen Scheuklappen von ForscherInnen auf amüsante Art und Weise deutlich gemacht. Wir sollten uns fragen, inwiefern und wie weit uns selbst der eigene Alltag, der soziale und wissenschaftliche Hintergrund in unserer Denkweise beeinflusst.

Montag, 14. Mai 2012

PS Keltische Kultur: Diskussion zur "Keltizität" von archäologischen Kulturen

In der heutigen Diskussionsrunde ging es um generelle Fragen zum Konzept von archäologischer Kultur und dem Problem der ethnischen Deutung. Nach einem Überblick über Aspekte des Begriffes "archäologische Kultur", sowie den Gründen der Herstellung von Zusammenhängen zwischen der Herausbildung eines keltischen Ethnos und der zeitgleichen Herausbildung der Frühlatènekultur wurde die Frage aufgeworfen, was für soziale oder kulturelle Prozesse überhaupt vom archäologischen Material bezeugt sein könnten, und wie man auf diese schließen könnte.

In der wiener Ur- und Frühgeschichte ist der tendenziell antiquarische Ansatz, von dem Fundmaterial und dessen Ordnung/Kategorisierung ausgehend Interpretationen anzustellen, stark vertreten. Der umgekehrte Weg von theoretischen Ansätzen/Überlegungen ausgehend das Fundmaterial zu interpretieren wird seltener eingeschlagen. Dies mag mit der Vorstellung zusammenhängen, dass die unvoreingenommene Ordnung des Fundmaterials zu einer objektiveren Herangehensweise führt als das Aufsetzen von postulierten Theorien auf die erhaltenen Fundkomplexe. Jedoch handelt es sich hier um einen Trugschluss: auch die Bildung von ordnenden Kategorien ist vom theoretischen und fachlichen Kontext der Forscher abhängig. Die Herstellung von Kategorien hängt von der jeweiligen Wertung von Elementen/Merkmalen ab, sowie von dem Zwecke zu dem die Kategorie erstellt wird (chronologische bzw. chorologische Ordnung, etc.).

Ein weiterer Ansatz, der oft als objektiver empfunden wird, ist eher auf ökologische oder geographische Erklärungen für die Verbreitung archäologischer Kulturen als auf soziale oder kulturelle zu zielen. Die Reduzierung solch komplexer Prozesse auf umweltbedingte Tatsachen allein ist jedoch ein stark vereinfachendes Modell. Die Ausklammerung der Suche nach einer geeigneten Kulturdefinition, um die Strukturen bzw. Prozesse hinter der uns erhaltenen materiellen Kultur zu erklären, ist keine befriedigende Lösung.

Verschiedene Autoren haben darauf aufmerksam gemacht, dass in jedem Erklärungsansatz von Prozessen, die im Zusammenhang mit archäologischen Fundkomplexen stehen, Kulturtheorien im Spiel sind. Die erhaltene materielle Kultur wird in einen theoretischen Rahmen gesetzt, der es ermöglicht kulturelle und soziale Strukturen bzw. Prozesse zu rekonstruieren.
Eine Schwierigkeit in der Ur- und Frühgeschichte ist, dass sich nur ein kleines Spektrum der gesamten materiellen Kultur erhalten hat, und nur in äußerst seltenen Fällen der Versuch unternommen werden kann Informationen aus anderen Quellen zu schöpfen. Und dies ist auch mit quellentechnischen und methodischen Schwierigkeiten verbunden. Dies scheint die Unmöglichkeit zu besiegeln, anhand von archäologischen Kulturen allein Rekonstruktionsmodelle von gesamten kulturellen oder sozialen Prozessen zu erarbeiten.

Doch immerhalb von einzelnen Fundkomplexen lassen sich durchaus bestimmte Interpretations-Kontexte festmachen. Die Auffindung einer Münze unter einer Mauer kann beispielsweise ein Hinweis auf einen in anderem Kontext tradierten Brauch oder Kult hinweisen. Natürlich handelt es sich auch bei diesem Erklärungsmodell um ein auf Analogieschluss basierendes Konstrukt, das auch mit den Vorannahmen der beteiligten ForscherInnen im Zusammenhang steht. Zu hinterfragen ist wiederum, dass einzelne Befunde, die schlussendlich zufällig erhalten geblieben sind, oft als Belege herangezogen werden, um bestimmte Erklärungsmodelle zu untermauern - die mögliche Individualität oder Zufälligkeit der erhaltenen Formen wird dann außer Acht gelassen.

Ein weiterer problematischer Punkt ist die Benennung von Kategorien. Oft werden Begriffe verwendet, die dem der Kategorien zugrundeliegenden Konzept naheliegen - beispielsweise der Begriff "Fürstengrab" im späthallstättischen Kontext. Hier handelt es sich nicht um "Fürsten" im feudalistischen Sinne. Der Begriff wird lediglich herangezogen um die späthallstättischen Eliten, die auf eine bestimmte Weise bestattet wurden, zu bezeichnen. Einem Laien, der die spezifische Begriffsdiskussion nicht kennt, werden die verschiedenen Kontexte von identischen, jedoch unterschiedlich verwendeten/konnotierten Begriffen nicht bekannt sein. Dies führt in der Rezeption von Forschungsergebnissen schnell zu Missverständnissen. Bei unsorgfältiger Begriffskritik oder -definition kann dies auch in wissenschaftlichen Arbeiten geschehen, gerade bei vielfältig eingesetzten Begriffen wie "kultisch" oder "Kultur".

Die Herstellung von Zusammenhängen zwischen antiken Ethnosbezeichnungen und archäologischen Kulturen, also von Kategorien aus unterschiedlichen Disziplinen, die von verschiedenen Quellen sowie unterschiedlichen Ansätzen abhängen, ist problematisch. Dies betrifft sowohl die frühen Phasen der Keltennennungen (Hecataeus von Milets Stelle zu den Kelten am Oberlauf der Donau und der späthallstättische Westhalstattkreis) als auch die späteren, historisch besser bezeugten Phasen - z.B. die Gallier von Caesar. Trotz der besseren Quellenlage im letzteren Fall lassen sich nicht ohne Weiteres direkte Bezüge zwischen archäologischem Material, Caesars Gallier und die gallische Sprache herstellen. Die antiken Schriften sind aus mediterraner, politisch instrumentalisierender Sicht geschrieben; das Konzept der archäologischen Kultur ist durch typologisch-chorologische Merkmale definiert; und die Sprachen sind durch linguistische Merkmale kategorisiert. Die Zusammenführung dieser kulturellen Elemente anhand eines holistischen, kongruenten und abgeschlossenen Kulturmodells hat sich als unzureichend herausgestellt. Alternative, komplexere Modelle sind im antiken Kontext kaum in Verwendung.

Die verschiedenen Einzeldisziplinen Archäologie, Alte Geschichte und Linguistik tragen alle ihren Teil dazu bei, "keltische" kulturelle Elemente in ihrem fach- und quellenspezifischen Kontext zu definieren. Die spezifische Quellenkritik, sowie individuell abgestimmte Lösungsansätze, um mit den jeweiligen Quellen umgehen und arbeiten zu können, sind notwendig. Die erarbeiteten theoretischen und heuristischen Rahmen sollten zudem auf ihre Aussagemöglichkeiten hin überprüft werden (können z.B. Kategorien, die in erster Linie zur chronologischen Ordnung von archäologischen Materialien erarbeitet wurden auch zum Belegen von kulturellen Phänomenen herangezogen werden? Oder können Etymologien den kulturellen Kontext der Sprachträger erhellen?).

Montag, 7. Mai 2012

PS Keltische Kultur: Diskussion zu "Kelten" in den althistorischen Quellen und dem Begriff des Fremden

Diesmal fand die Diskussion nach zwei Vorträgen statt, die einen Überblick boten über 1) einige althistorische Quellen zu den frühen Kelten und damit zusammenhängende Konzepte wie die keltischer Ethnos und Wanderungen, sowie 2) die Fremdbeschreibungen der antiken Autoren aus anthropologischer Sicht.

Vom Konzept des Fremden als Kategorie ausgehend, die oft als Mittel eingesetzt wird, um der eigenen Kultur einen Opponenten gegenüberzustellen (Selbst- und Fremdpositionierung), startete die Diskussion. Die Definition von Fremdbildern hängt immer mit den kulturellen Vorstellungen und Kategorien der Beschreibenden selbst zusammen, und ist oft durchwegs negativ konnotiert. Das hängt mit dem Prinzip zusammen, dass Individuen und soziale Gruppen von den eigenen kulturellen Kategorien geprägt die Welt wie durch diese gefiltert wahrnehmen. Die eigenen Kategorien und Wertvorstellungen werden automatisch als gegeben und normal empfunden. Was diesen widerspricht oder nicht hineinpasst wird instinktiv als befremdlich und gefährlich wahrgenommen. Die Beschreibung einer fremden Kultur hängt ausschließlich mit der vom eigenen kulturellen Kontext geprägten Betrachtungsweise des Menschen zusammen.

Die Quellen, die uns die antiken Autoren zu den Kelten hinterlassen haben, sind durchwegs solche Fremdbilder. Diese toposhaften Schilderungen dienten nicht dazu ein objektives Keltenbild zu gestalten, sondern wurden als Mittel eingesetzt um die eigenen, mediterranen Kulturen und zentralistisch organisierten Gesellschaften vom Barbaricum rund herum abzugrenzen. Das Keltenbild musste sich in diese Weltsicht einfügen, und wurde zur Untermauerung dieser instrumentalisiert.

Typische kulturelle Elemente wurden herangezogen, um den Gegensatz zwischen mediterraner Zivilisiertheit und barbarischer Unzivilisiertheit zu unterstreichen - beispielsweise die Trunksucht der keltischen Gesellschaften. Dass für die mediterranen Beobachter die Wein - Bier Grenze als Zivilisationsgrenze wahrgenommen wurde, lässt sich auch mit modernen Parallelen vergleichen. Der gesellschaftlich tollerierte Alkoholkonsum (Art und Menge) ist kulturell bedingt. Ein in Mitteleuropa derzeit stark diskutiertes Tabu ist der Cannabiskonsum, im Unterschied zu dem gesellschaftlich verbreiteten, oft stillschweigend akzeptierten Alkoholismus. Die Problematisierung des Cannabiskonsums im Gegensatz zum Alkoholkonsum hängt mit der kulturellen Wertung und Akzeptanz der verschiedenen Drogen innerhalb mitteleuropäischer Kulturtraditionen zusammen.

Auf ähnliche Weise sind auch die uns erhaltenen antiken Fremdbeschreibungen der sogenannten Kelten zu kontextualisieren. Sie wurden durch die Brille mediterraner kulturellen Vorstellungen und Werte niedergeschrieben. Zusätzlich ist auch der politische und historische Kontext ausschlaggebend, in denen die Schriften verfasst wurden. Anekdoten zu keltischen Barbaren wurden oft eingebaut, um das Weltbild oder die politischen Absichten der antiken Autoren zu untermauern.

Die antiken Autoren liefern uns bei weitem kein einheitliches Keltenbild. Obwohl man den geschilderten Gegebenheiten durchaus ein fünkchen Wahrheit zusprechen kann, sind die Informationen nur durch den kulturellen und politisch-historischen Kontext der Verfasser stark verzerrt zu beurteilen. Die Schilderungen ähneln sich nur in der hinsicht, dass die Verfasser die geschilderten keltischen Gesellschaften in den Kontext der wilden Barbaren setzten und diese auch anhand typischer Barbaren-Topoi beschrieben. Hinzu kommt, dass auch die unterschiedlichen Keltenbegriffe nicht einheitlich verwendet wurden. Die Unterscheidung zwischen Germanen und Kelten wurde nicht einheitlich getroffen; schließlich wurden ja alle nördlichen Stammesgesellschaften als Barbaren wahrgenommen.

Was können wir nun also mit den antiken Quellen zu den Kelten anfangen? Sie lassen sich jedenfalls kaum auf eine generelle Beschreibung dessen, wie oder wer die Kelten waren synthetisieren. Höchstens, wie keltische Gesellschaften in das mediterrane Barbarenbild reinpassten. Vermutlich lässt sich anhand dieser Quellen mehr über das mehr oder weniger bewusst von den Griechen und Römern konstruierte keltische Barbarenbild sagen, als über die keltischen Gesellschaften selbst. Wir können versuchen die Texte in einen historisch-kulturellen und politischen Kontext zu stellen, doch konkrete Informationen über keltische Gesellschaften lassen sich nur mit starker Unsicherheit gewinnen.

Die Verlockung Zusammenhänge mit archäologischen Quellen zu finden ist u.a. deswegen groß, weil es sich hier - im Unterschied zu den antiken Texten - um indigene Quellen handelt (die also nicht von der Perspektive von außen beeinträchtigt sind). Hier ist jedoch das Problem der Identifizierung des archäologischen Materials mit einem keltischen Ethnos gegeben. Geographische Vergleiche zwischen Lokalisierungen in antiken Nachrichten und der Verbreitung von archäologischen Kulturen können zwar vorgenommen werden - z.B. frühe Keltenlokalisierungen und Westhallstattkultur. Doch die relativ einheitliche Verbreitung von bestimmten typologischen Element-Kombinationen muss nicht zwingend mit der Verbreitung einer sozialen oder kulturellen Menschengruppe übereinstimmen. Ein weiteres Problem ist die Deutung materieller Kultur aus unserer modernen Sicht.

Belege für die in den antiken Quellen berichteten Kelten-Wanderungen werden auch gerne im archäologischen Material gesucht. Doch auch hier: die Verbreitung von bestimmten Typen oder -kombinationen muss nicht zwingend mit Wanderungen zusammenhängen. Es gibt noch weitere Erklärungsmodelle, wie z.B. Handel oder Akkulturation, die die Verbreitungsmuster erklären könnten. Zudem liessen sich rein von archäologischen Verbreitungsmuster auch andere Wanderbewegungen als die in der antiken Literatur tradierten ausmachen.

Die Mobilität der eisenzeitlichen Gesellschaften sollte nicht unterschätzt werden, doch gilt zu beachten, dass Wanderungen nicht das einzige Erklärungsmodell sein müssen. Die von den antiken Autoren berichteten Wanderbewegungen stellen ebenso Beschreibungen aus ihrer eigenen Sicht dar. Was in den Augen von Römern oder Griechen als Wanderung interpretiert wurde, kann anhand anderer Kriterien und Denkmuster als die der zentralisierten mediterranen Gesellschaften ganz anders wahrgenommen werden.

Zusammenfassend lässt sich aussagen, dass die antiken historischen Quellen vor allem in ihrem historischen, kulturellen und politischen Zusammenhang zu sehen sind. Die von den antiken Autoren tradierten und zitierten Anekdoten wurden zu einem bestimmten Zweck auf eine bestimmte Weise verfasst bzw. übernommen. Ihre Fremdwahrnehmung und ihre eigenen Kategorisierungen verzerren die Informationen zu keltischen Gesellschaften stark.

Hinzu kommt unser eigener historischer, kultureller und wissenschaftliche Hintergrund, der wiederum unser Verständnis dieser Informationen beeinflusst. Neben den vielen Faktoren, die Einfluss auf die antikhistorischen Quellen an sich nehmen, existieren noch weitere Faktoren, die die Deutungsarbeit moderner ForscherInnen wesentlich prägen. Diesen Faktoren sollte in der Formulierung von Modellen und Theorien Rechnung getragen werden.

Über mich

Wien, Austria
Junior Researcher at AIT, Austrian Institute of Technology in Vienna.