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Montag, 14. Mai 2012

PS Keltische Kultur: Diskussion zur "Keltizität" von archäologischen Kulturen

In der heutigen Diskussionsrunde ging es um generelle Fragen zum Konzept von archäologischer Kultur und dem Problem der ethnischen Deutung. Nach einem Überblick über Aspekte des Begriffes "archäologische Kultur", sowie den Gründen der Herstellung von Zusammenhängen zwischen der Herausbildung eines keltischen Ethnos und der zeitgleichen Herausbildung der Frühlatènekultur wurde die Frage aufgeworfen, was für soziale oder kulturelle Prozesse überhaupt vom archäologischen Material bezeugt sein könnten, und wie man auf diese schließen könnte.

In der wiener Ur- und Frühgeschichte ist der tendenziell antiquarische Ansatz, von dem Fundmaterial und dessen Ordnung/Kategorisierung ausgehend Interpretationen anzustellen, stark vertreten. Der umgekehrte Weg von theoretischen Ansätzen/Überlegungen ausgehend das Fundmaterial zu interpretieren wird seltener eingeschlagen. Dies mag mit der Vorstellung zusammenhängen, dass die unvoreingenommene Ordnung des Fundmaterials zu einer objektiveren Herangehensweise führt als das Aufsetzen von postulierten Theorien auf die erhaltenen Fundkomplexe. Jedoch handelt es sich hier um einen Trugschluss: auch die Bildung von ordnenden Kategorien ist vom theoretischen und fachlichen Kontext der Forscher abhängig. Die Herstellung von Kategorien hängt von der jeweiligen Wertung von Elementen/Merkmalen ab, sowie von dem Zwecke zu dem die Kategorie erstellt wird (chronologische bzw. chorologische Ordnung, etc.).

Ein weiterer Ansatz, der oft als objektiver empfunden wird, ist eher auf ökologische oder geographische Erklärungen für die Verbreitung archäologischer Kulturen als auf soziale oder kulturelle zu zielen. Die Reduzierung solch komplexer Prozesse auf umweltbedingte Tatsachen allein ist jedoch ein stark vereinfachendes Modell. Die Ausklammerung der Suche nach einer geeigneten Kulturdefinition, um die Strukturen bzw. Prozesse hinter der uns erhaltenen materiellen Kultur zu erklären, ist keine befriedigende Lösung.

Verschiedene Autoren haben darauf aufmerksam gemacht, dass in jedem Erklärungsansatz von Prozessen, die im Zusammenhang mit archäologischen Fundkomplexen stehen, Kulturtheorien im Spiel sind. Die erhaltene materielle Kultur wird in einen theoretischen Rahmen gesetzt, der es ermöglicht kulturelle und soziale Strukturen bzw. Prozesse zu rekonstruieren.
Eine Schwierigkeit in der Ur- und Frühgeschichte ist, dass sich nur ein kleines Spektrum der gesamten materiellen Kultur erhalten hat, und nur in äußerst seltenen Fällen der Versuch unternommen werden kann Informationen aus anderen Quellen zu schöpfen. Und dies ist auch mit quellentechnischen und methodischen Schwierigkeiten verbunden. Dies scheint die Unmöglichkeit zu besiegeln, anhand von archäologischen Kulturen allein Rekonstruktionsmodelle von gesamten kulturellen oder sozialen Prozessen zu erarbeiten.

Doch immerhalb von einzelnen Fundkomplexen lassen sich durchaus bestimmte Interpretations-Kontexte festmachen. Die Auffindung einer Münze unter einer Mauer kann beispielsweise ein Hinweis auf einen in anderem Kontext tradierten Brauch oder Kult hinweisen. Natürlich handelt es sich auch bei diesem Erklärungsmodell um ein auf Analogieschluss basierendes Konstrukt, das auch mit den Vorannahmen der beteiligten ForscherInnen im Zusammenhang steht. Zu hinterfragen ist wiederum, dass einzelne Befunde, die schlussendlich zufällig erhalten geblieben sind, oft als Belege herangezogen werden, um bestimmte Erklärungsmodelle zu untermauern - die mögliche Individualität oder Zufälligkeit der erhaltenen Formen wird dann außer Acht gelassen.

Ein weiterer problematischer Punkt ist die Benennung von Kategorien. Oft werden Begriffe verwendet, die dem der Kategorien zugrundeliegenden Konzept naheliegen - beispielsweise der Begriff "Fürstengrab" im späthallstättischen Kontext. Hier handelt es sich nicht um "Fürsten" im feudalistischen Sinne. Der Begriff wird lediglich herangezogen um die späthallstättischen Eliten, die auf eine bestimmte Weise bestattet wurden, zu bezeichnen. Einem Laien, der die spezifische Begriffsdiskussion nicht kennt, werden die verschiedenen Kontexte von identischen, jedoch unterschiedlich verwendeten/konnotierten Begriffen nicht bekannt sein. Dies führt in der Rezeption von Forschungsergebnissen schnell zu Missverständnissen. Bei unsorgfältiger Begriffskritik oder -definition kann dies auch in wissenschaftlichen Arbeiten geschehen, gerade bei vielfältig eingesetzten Begriffen wie "kultisch" oder "Kultur".

Die Herstellung von Zusammenhängen zwischen antiken Ethnosbezeichnungen und archäologischen Kulturen, also von Kategorien aus unterschiedlichen Disziplinen, die von verschiedenen Quellen sowie unterschiedlichen Ansätzen abhängen, ist problematisch. Dies betrifft sowohl die frühen Phasen der Keltennennungen (Hecataeus von Milets Stelle zu den Kelten am Oberlauf der Donau und der späthallstättische Westhalstattkreis) als auch die späteren, historisch besser bezeugten Phasen - z.B. die Gallier von Caesar. Trotz der besseren Quellenlage im letzteren Fall lassen sich nicht ohne Weiteres direkte Bezüge zwischen archäologischem Material, Caesars Gallier und die gallische Sprache herstellen. Die antiken Schriften sind aus mediterraner, politisch instrumentalisierender Sicht geschrieben; das Konzept der archäologischen Kultur ist durch typologisch-chorologische Merkmale definiert; und die Sprachen sind durch linguistische Merkmale kategorisiert. Die Zusammenführung dieser kulturellen Elemente anhand eines holistischen, kongruenten und abgeschlossenen Kulturmodells hat sich als unzureichend herausgestellt. Alternative, komplexere Modelle sind im antiken Kontext kaum in Verwendung.

Die verschiedenen Einzeldisziplinen Archäologie, Alte Geschichte und Linguistik tragen alle ihren Teil dazu bei, "keltische" kulturelle Elemente in ihrem fach- und quellenspezifischen Kontext zu definieren. Die spezifische Quellenkritik, sowie individuell abgestimmte Lösungsansätze, um mit den jeweiligen Quellen umgehen und arbeiten zu können, sind notwendig. Die erarbeiteten theoretischen und heuristischen Rahmen sollten zudem auf ihre Aussagemöglichkeiten hin überprüft werden (können z.B. Kategorien, die in erster Linie zur chronologischen Ordnung von archäologischen Materialien erarbeitet wurden auch zum Belegen von kulturellen Phänomenen herangezogen werden? Oder können Etymologien den kulturellen Kontext der Sprachträger erhellen?).

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Über mich

Wien, Austria
Junior Researcher at AIT, Austrian Institute of Technology in Vienna.