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Montag, 18. Juni 2012

Diskussion im PS Keltische Kultur: Ist Keltische Kultur eine sinnvolle Kategorie?

Nach der Zusammenfassung von kulturkritischen Ansätzen und deren Rezeption in Keltologie und Archäologie fand die zweitletzte Diskussionsrunde dieses Proseminars statt.

Wie wir eingangs des Proseminars bereits besprochen haben, tendiert der Kulturbegriff in seiner Definition und Verwendung im Alltag, aber auch in der wissenschaftlichen Praxis nicht hinterfragt zu werden. Kultur scheint ein selbstverständlicher Bereich des menschlichen Daseins zu sein. Seit der anthropologischen Wende in den Kulturwissenschaften, die in den 1960/70ern ihren Lauf nahm, ist Kultur ein wichtiges Interpretament geworden. In der Archäologie und in der Keltologie wird Kultur nach wie vor tendenziell als statische, homogene und abgeschlossene Kategorie aufgefasst. Prozessuelle Ansätze versuchen durch komplexe, sich in ständigem Wandel befindende Kulturkonzepte auf solche Modelle zu kontern. Post-prozessuelle Ansätze verweisen zudem auf den von der wissenschaftlichen Herangehensweise beeinflussten Konstruktcharakter solcher wissenschaftlichen Konzepte und Kategorien, sowie auf die notwendige wissenschaftliche Selbstkritik.

Die Verwendung der Kategorie "Kultur" kann im wissenschaftlichen Bereich durchaus sinnvoll sein. Doch die Fokussierung auf die Kategorie "Kultur" hat auch Nachteile. Vertreter der Kulturkritik haben darauf aufmerksam gemacht, dass die Beschränkung auf kulturelle Bereiche, wie habitueller Lebensstil (Anm.: Habitus im Sinne Bourdieus als ein kulturell bedingtes System von Dispositionen, auf dem Praktiken und Vorstellungen einer sozialen Gruppe basieren) oder ethnische Identität, zur Ausklammerung von sozialen Faktoren (z.B. Diskussionen über soziale Ungleichheit) führen kann. Ein wichtiger Nachteil der Überbetonung vom Kulturalen ist also der Verlust der sozialen Argumentationsebene, was die Konstruktion von einseitigen Weltbildern zur Folge hat .

Auch im Alltag ist "Kultur" ein etablierter Begriff, jedoch mit meist weit weniger kritischem Umgang. In der alltäglichen Praxis können wir bestimmte kulturelle Merkmale relativ spontan einer bestimmten Kultur zuordnen. Sprachen oder Dialekte verweisen auf die ethnische oder regionale Herkunft des Sprechers/der Sprecherin; Bräuche oder Umgangsformen lassen auf einen bestimmten kulturellen und habituellen Hintergrund schließen. Das Konzept von Nation und Nationalität (Stichwort: nationale Identität) ist auch stark an nationalen Kulturvorstellungen gekoppelt. Diese einfachen Zuordnungen basieren auf etablierten Vorstellungen der eigenen und von fremden Kulturen.

Im Alltag werden solche Vorstellungen tendenziell als unverrückbare Tatsachen, und nicht als soziale Konstrukte wahrgenommen. Schließlich liegen die beobachtbaren Unterschiede nicht am Auge des Betrachters, sondern lassen sich auf auf uralte Herkunft zurückgehende Beschaffenheiten zurückführen. Oder? Post-prozessuelle und konstruktivistische Ansätze gehen davon aus, dass Kategorien wie "Kultur", sowie die Wahrnehmung und Beschreibung von Kulturelementen in erster Linie nicht von einer in der Realität unabhängig vom Betrachter existierenden Sache, sondern vom Standpunkt des Beobachters abhängen. Der Standpunkt des Beobachters bestimmt, was wie erkannt wird, und was überhaupt erkannt wird.

Ein weiterer problematischer Faktor ist die Instrumentalisierung der Kategorie "Kultur" im sozial-politischen Kontext. In der letzten Proseminar Einheit haben wir darüber diskutiert, wie Elemente keltischer Kultur beispielsweise dazu herangezogen werden, um moderne sozial-politische Identitäten zu konstruieren. In der Alltags-Praxis herrschen vorwiegend Vorstellungen vor, die Kultur als etwas eindeutiges, abgeschlossenes und besonders charakteristisches, bzw. authentisches begreifen. Durch den nicht kritischen Umgang mit kulturellen Argumenten werden konstruierte Wahrheiten schnell mal als Tatsachen akzeptiert.

Was für Konsequenzen sollten wir ForscherInnen daraus ziehen? Soll der Kulturbegriff, oder ein Konzept keltischer Kultur als wissenschaftlicher Kategorie aufgegeben werden?
Gerade weil Kultur und ähnlich problematische Kategorien wie ethnische Identität in aktuellen sozialen Diskursen wichtige und nach wie vor problematische Bereiche des Alltags ausmachen ist es wichtig, sich auch im wissenschaftlichen Bereich mit diesen auseinander zu setzen. Die aktuelle EU Kampagne "Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung." zeigt, dass Themen wie Rasse, ethnische Herkunft, usw. nach wie vor brandaktuell sind. Die kritischen und aus mehreren Perspektiven erarbeiteten Positionen aus wissenschaftlichen Fachbereichen können, wenn adäquat für eine alltägliche Rezeption aufbereitet, den gesellschaftlichen Diskurs bereichern und Einseitigkeiten entschärfen.

Im Bereich der Keltologie oder der Archäologie sind Alltagsthemen natürlich nur zweitrangig interessant. Zumindest auf dem ersten Blick. Doch darf man nicht vergessen, dass 1. WissenschaftlerInnen in den zeitgenössischen Alltag eingebunden sind und somit von akuellen Diskursen mindestens indirekt beeinflusst sind (Stichwort: Zeitgeist), und 2. dass gerade archäologische oder keltologische Themen gerne herangezogen werden, um Mythen und Traditionen zu schaffen. Ein Einbeziehen der Gegenwarts-Perspektive und die Forderung nach Aufbereitung der Forschungsergebnisse für ein breites öffentliches Publikum macht also mehrfach Sinn. Ein möglicher Ansatz, um kritische Anschauungsweisen bei einer breiteren Öffentlichkeit zu fördern könnte sein, interessierte Menschen auf problematische Annahmen aufmerksam zu machen. Dazu ist es allerdings notwendig die komplexen und Alltags-fernen, wissenschaftlichen Überlegungen alltagstauglich (sprich: allgemein verständlich) zu machen. Manchmal reicht vermutlich nur der Hinweis auf eine vermeintlich offensichtliche Tatsache, um kritische Überlegungen und Hinterfragen hervorzurufen.

Was die Sinnhaftigkeit einer Kategorie "Keltische Kultur" angeht, sind sich alle DiskussionsteilnehmerInnen einig, dass vorherrschende Vorstellungen einer einst über das gesamte Europa verbreiteten, einheitlichen keltischen Kultur nicht dem heutigen Stand der Forschung entsprechen. Aktuelle Kulturmodelle, die versuchen Kultur als eine prozessuelle, komplexe Kategorie zu begreifen, sowie kulturkritische Ansätze sollten in jedem Fall berücksichtigt werden, wenn mit dem Begriff "Kultur" operiert wird. Und zugleich sollten sich die WissenschaftlerInnen ihrer eigenen Perspektive und habituellen Disposition bewusst sein, die sie in ihren Überlegungen und Sichtweisen beeinflussen.

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Über mich

Wien, Austria
Junior Researcher at AIT, Austrian Institute of Technology in Vienna.