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Montag, 11. Juni 2012

Diskussionsrunde PS Keltische Kultur: Moderne Kelten und Keltomanie

Die heutige Lehrveranstaltungseinheit widmete sich den modernen Kelten und ihrer Identitätssuche in der Antike, bzw. im inselkeltischen Mittelalter. Nach einem Überblick über die vielfältigen Konnotationen des Keltenbegriffes in heutigen Alltagskontexten, insbesondere wenn es um Identitäten wie "Irishness" und "Welshness" oder esoterischen Bewegungen geht, fand erneut eine angeregte Diskussion statt.

Die Betonung der eigenen keltischen, bzw. spezifisch gälischen oder walisischen Identität von noch heute Keltisch sprechenden Randgruppen lässt sich auf eine emanzipatorische Auflehnung gegen eine aus historischen Gründen mächtigere und unterdrückende politische Macht zurückführen. Aufgrund der linguistischen Verwandtschaft der noch lebendigen keltischen Sprachen lässt sich einerseits ein gemeinsamer, inselkeltischer Ursprung rekonstruieren, andererseits eine Kontinuität zu den altkeltischen Sprachen ziehen, die auf dem europäischen Kontinent bezeugt sind. Sprache ist neben weiteren kulturellen Eigenheiten ein wichtiges Element, das zur Konstruktion von ethnischen oder nationalen Identitäten herangezogen wird.

Das Grundverständnis von Ethnien und Nationen geht auf völkische Ideen des ausgehenden 18./19. Jhs zurück. Noch heute besteht die idealisierte Vorstellung, dass Völker bzw. Ethnien einen gemeinsamen biologischen, oder zumindest kulturellen Ursprung haben, und dadurch von derselben Sprache und Kultur charakterisiert sind. Das Konzept von Nation gründet auf denselben Vorstellungen. Der Zusammenhalt ethnischer Gruppen oder Nationen wird durch die Betonung ihrer gemeinsamen Identitäten begründet und gestärkt. Um diese Identität zu begründen werden lokale Traditionen  auf möglichst alte, gemeinsame Ursprünge zurückgeführt. Die hergestellten Kontinuitäten von mittelalterlichen, antiken oder gar älteren Kulturen werden seit den 1960er Jahren in kritischen Ansätzen als Konstrukte entlarvt, die nur unter bestimmten und stark vereinfachenden Voraussetzungen als Erklärung von sozialen und kulturellen Vorgängen dienlich sein können.

Im Alltag ist der Umgang mit solchen Vorstellungen tendenziell weniger kritisch als im wissenschaftlichen Kontext. Im (kultur)politischen Kontext werden mittelalterliche und antike "keltische" Quellen dazu verwendet, um ideologische oder politische Vorstellungen nach eigenem Gutdünken zu begründen und zu untermauern (Stichwort: Kulturerbe). Politisch aktive Gruppen berufen sich auf ihre keltischen Vorfahren und benutzen dieses Mittel zur Begründung und Untermauerung der eigenen Positionen und Rechte.

Im Bereich der "Kelten"-Literatur existieren viele pseudowissenschaftliche und esoterische Ansätze, die in erster Linie von romantischen und fiktionalen Vorstellungen geprägt sind. Fantasy Romane, Comics, aber auch geistige Führer mit alten "keltischen" Weisheiten und dergleichen füllen die Regale im Buchhandel. Nebst zahlreicher esoterischer Literatur gibt es auch aktive Keltenmystik-Revivals. Druidenseminare werden angeboten, um ursprüngliche und authentische Rituale fortzuführen, die vor der Dekadenz der modernen Gesellschaft bereits existiert haben. Darüberhinaus existieren mehrere aktive Druidenorden. Die Suche nach Ursprünglichkeit und Authentizität ist mit dem Bedürfnis nach Sicherheit, sowie dem romantischen Wunsch dem modernen Alltag zu entfliehen verbunden. Der Rückzug in die Mystik bildet ein Ausgleich zur modernen hektischen und entmystifizierten Welt.

Wie Umfragen gezeigt haben, kursieren im Alltag zahlreiche, im wissenschaftlichen Verständnis falsche Vorstellungen zu "den Kelten". Dies liegt unter anderem auch daran, dass fiktionale und esoterische Literatur u.a. Medien zahlreicher und leichter zugänglich sind als Fachliteratur. Die Suche nach "seriösen" Informationsquellen zu "den Kelten" gestaltet sich v.a. für interessierte Laien schwierig. Doch ist nicht auch wissenschaftliche Literatur deswegen schwieriger erreichbar, weil sich WissenschaftlerInnen mit ihren FachkollegInnen abgrenzen und die Diskurse im berühmten Elfenbeinturm verhallen? Wissenschaftliche Ansätze sind oft stark vom Alltäglichen abgehoben (theoretisch, keinen Bezug zum Alltag) und in einen für Laien nicht leicht durchschaubaren Kontext eingebunden (sprachlich und inhaltlich komplex oder sehr teilspezifisch). Es ist Teil der Vermittlungsarbeit die Themen Zielpublikumsgerecht aufzuarbeiten und in die Öffentlichkeit zu tragen.

Die starke Präsenz von bereits auf bestimmte Art und Weise etablierten keltologischen Themen in Alltags-Nischen erschwert die Vermittlungsarbeit von WissenschaftlerInnen. "Die Kelten" sind ein noch immer aktuelles, höchst modisches und vermarktbares Thema. Die verfügbaren Informationen gestalten sich dementsprechend.

Ein weiterer Aspekt ist, dass es nicht nur ein Zielpublikum gibt. Je nach Beweggrund für das Interesse an "den Kelten" unterscheiden sich die Zugänge zur Thematik. Nicht alle Kelten-Interessenten werden sich für nicht mystische oder esoterische Ansätze begeistern lassen. Im alltäglichen Kontext ist der Zugang zur Kelten-Thematik wohl eher auf persönlicher und unmittelbarer Ebene angesetzt (z.B. Ausdruck des eigenen Zugehörigkeitsgefühl, oder einer persönlichen Empfindung/Leidenschaft). Auch deswegen ist wohl fiktionale oder esoterische Kelten-Literatur beliebter (da leichte Lektüre!). Die unkritische Darstellung von mystischen und fiktionalen Konstrukten als wissenschaftliche Tatsachen ist jedoch problematisch. Die Instrumentalisierung von uralten "Tatsachen" zu ideologischen oder politischen Zwecken ist ebenso problematisch zu werten (vgl. die Germanomanie in der ersten Hälfte des 20. Jh.!).

Wissenschaftliche Arbeit grenzt sich bewusst von pseudowissenschaftlichen bzw. esoterischen Ansätzen ab. WissenschaftlerInnen versuchen die Thematik auf möglichst objektiver, bzw. intersubjektiver Weise anzugehen. Eine wissenschaftliche Herangehensweise scheint im Unterschied zu romantischen und fiktionalen Ansätzen Schlussfolgerungen zu ermöglichen, die auf tatsächlichen historischen Fakten basieren. Doch ist die Grenze zwischen Wissenschaftlichkeit und Unwissenschaftlichkeit wirklich so klar auszumachen?

Wie wir im Proseminar bereits mehrfach diskutiert haben sind auch wissenschaftliche Ergebnisse von bestimmten Kontexten und Prämissen abhängig. Nur mit klaren Beschränkungen und Festsetzungen durch den/die WissenschaftlerIn lassen sich Bedeutungen und Aussagen konstruieren; historische oder kulturwissenschaftliche Tatsachen per se existieren nicht. Auch historische Fakten werden konstruiert und hängen von der Perspektive des Betrachters ab. Wie Pseudowissenschaftler und Esoteriker sind auch Wissenschaftler in besondere und Lebenskontexte (und auch Forschungskontexte!) eingebundene Individuen. Durch diese wird ihre Arbeit bewusst oder unbewusst beeinflusst. Die politische Einstellung der Forscherpersönlichkeit beispielsweise lässt sich nicht ausschalten: die Aussagen, die durch ihre wissenschaftliche Forschung getroffen werden, werden nie der politischen Einstellung der ForscherIn widersprechen. Wegen der starken Prägung durch den eigenen Alltag projizieren ForscherInnen aktuelle Positionen und Sichtweisen automatisch auf die Vergangenheit. Produzierte Bilder von Vergangenheit sind keine Tatsachenwiderspiegelungen, sondern zeitspezifische Interpretationen und Darstellungen von Inhalten. Sie hängen immer mit kulturellen, politischen, religiösen etc. Aspekten der ForscherInnen und ihrer Forschungsgemeinde zusammen. Die Motive der ForscherInnen können zudem durchaus ähnliche sein wie die von politisch aktiven Keltomanen. Und nicht zu vergessen ist auch die Tatsache, dass keltische Forschungen oft nur dann finanziert werden, wenn die Ergebnisse irgendwie vermarktbar sind, was letztere durchaus auch beeinflussen kann.

Eine wichtige Aufgabe der Keltologie ist es, mit kursierenden unkritischen Ansätzen aufzuräumen. Doch ebenso wichtig ist der (selbst)kritische Umgang mit den eigenen Theoriegebilden.
Ein weiterer Aspekt ist die Berücksichtigung der im Alltag neu benutzten und umgesetzten keltologischen Themen. Die modernen Kelten, in politischen, esoterischen und anderen Kontexten, sind Realität, auch wenn ihre Vorstellungen auf aus wissenschaftlicher Perspektive falschen Tatsachen basieren. Keltologische Ansätze sind auch immer eine Antwort auf den modernen Umgang mit keltologischen Themen im Alltag.

Wenn sich die Keltologie im heutigen Alltag positionieren möchte, sollte sie sich auch mit soziologischen Ansätzen und der Alltagsforschung der "modernen Kelten" auseinandersetzen. "Die Kelten" sind für viele zeitgenössische soziale Gruppen und Individuen wichtige Instrumente der Identitätbildung. Wenn dieser Bereich ausgeklammert wird droht die Gefahr, dass die kritische Rezeption der zahlreich kursierenden Mythen nicht stattfindet. Dazu ist eine angebrachte Herangehensweise notwendig. Keltologische Ansätze sollten nicht moderne Identitäten zerstören bzw. aufklären wollen, sondern die herangezogenen Kontexte aufbereiten und damit einhergehende Problematiken thematisieren. Dies kann ein wichtiger Bereich der breiten, kulturwissenschaftlichen Keltologie sein.

In der heutigen Diskussion wurden viele wichtige und aktuelle Punkte einer kritischen Perspektive auf die keltologische Forschungsarbeit und die keltischen Themen im Alltag angesprochen. Durch diesen kurzen Blog-Beitrag konnte kaum allen Aspekten gleichermaßen Rechnung getragen werden. Alle bisherigen Diskussionsbeiträge sind im Grunde erster Ansätze für weiterführende Überlegungen. Ich hoffe, dass die kurzen Abrisse, die einen Einblick in die Diskussionen bieten, weiteren ForscherInnen zur Anregung dienen können.

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Über mich

Wien, Austria
Junior Researcher at AIT, Austrian Institute of Technology in Vienna.