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Montag, 4. Juni 2012

Diskussionsrunde PS Keltische Kultur: Kontinuität als Mittel der Identitätsherstellung

Die heutige Diskussion fand nach einem Vortrag statt, der verschiedene Aspekte der Herstellung von Kontinuität zwischen antiken und modernen Kelten kritisch zusammenfasste. Davon ausgehend wurde auch die Thematik der sozialen Konstruktion von Identitäten aufgegriffen.

Der Blick in die Vergangenheit und in die eigene Geschichte, sowie die Suche nach den Wurzeln der sozialen Gruppe, der man angehört, gehören zu den menschlichen Bedürfnissen. Das Wissen um die eigene Abstammung, sowie um die Traditionen und Bräuche, die die eigenen Leute von anderen unterscheiden, ist in Mitteleuropa seit Generationen ein wichtiges Mittel zur Begründung und Stärkung von Identitäten sozialer Gruppen. Kultur ist in dieser Vorstellung eine stark an die ethnische Gruppe gebundene Einheit und fusst in den Vorstellungen von Volkskultur aus dem 19.Jh.

Vorstellungen zum Funktionieren und der Beschaffenheit von sozialen Gruppen, die aus den völkischen Theorien des 19.Jh. stammen, überdauern zum Teil bis heute. In Fächern wie z.B. der Europäischen Ethnologie, die in Österreich direkt an der Mitbegründung des ideellen und rassischen Rahmenwerkes des Nationalsozialismus beteiligt waren, setzte man sich ab den 1960er Jahren intensiv mit den Problematiken der völkischen Kategorien und Vorstellungen auseinander. Die rassischen Elemente wurden im laufe der darauf folgenden Jahrzehnte getilgt und die Theorien differenziert. Doch in anderen kulturwissenschaftlichen Fächern begann die kritische Auseinandersetzung mit derselben erst weit später. Seit den 1990ern werden auch in der Keltologie die ethnisch konnotierten Kategorien der keltischen Sprache, der keltischen Kultur, sowie die des keltischen Volkes dekonstruiert.

In der kulturwissenschaftlichen Keltologie ist die Auseinandersetzung mit Kontinuität ein wichtiges Element, basiert doch die Definition des Forschungsfeldes auf die modern hergestellten Zusammenhänge zwischen antiken Kelten, den uns erhaltenen Informationen zu ihrer Kultur und Sprache, den mittelalterlichen Inselkelten und den modernen Kelten. Auch populärwissenschaftlich oder ideologisch hergestellte Kontinuitäten, die versuchen einen möglichst alten und keltischen Ursprung einzelner Traditionen zu begründen (siehe Wicca-Kult) können ein Anwendungsgebiet kritischer Überlegungen sein.

Hierbei sollten auch Gender Aspekte nicht außer Acht gelassen werden. Die meisten gängigen Theorien wurden aus männlicher Perspektive geschrieben und sollten auch diesbezüglich kritisch durchdacht werden. Die Beschreibung und Wertung von kulturellen Elementen ist immer vom sozial-politischen und wissenschaftlichen Umfeld des Forschers/der Forscherin beeinflusst bzw. geprägt. Nicht nur das Erkennen und Beurteilen von kulturellen Elementen, sondern auch die damit erzeugten Aussagen und Ergebnisse hängen damit zusammen. Die ForscherInnen sind alle Individuen, die unweigerlich ihre persönliche Note in die Forschungsergebnisse einfließen lassen, und sich zugleich in eine Strömung ihres Zeitgeistes einreihen. Bestehende Theorien sollten auch auf diese Aspekte hin untersucht werden.

Ein weiterer Aspekt, der erwähnt werden muss, ist die Unterscheidung zwischen biologischer und sozialer Ebene. Das biologische Geschlecht (Sex) und das soziale Geschlecht (Gender), genauso wie biologische Verwandtschaft (Spezies) und soziale Zusammengehörigkeit (Ethnos) sollten auseinander gehalten werden. Diese verschiedenen Aspekte tendieren in Gender-Diskussionen, sowie in Auseinandersetzungen um Gruppenidentitäten zum Teil nach wie vor nicht differenziert zu werden. Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen genetischen und sozialen Phänomenen/Prozessen. Die Wahrnehmung derselben im Zuge der Selbstpositionierung von Individuen und Gruppen kann jedoch diesen Anschein erwecken, wenn die kritische Auseinandersetzung mit der angewendeten Bewertung der ausschlaggebenden Faktoren aus bleibt.

Wenn es um Selbst-Identifikation von Individuen und Gruppen geht, spielen mehrere Ebenen eine Rolle. Die individuelle Ebene wird in Sozialtheorien meist ausgeblendet, da diese den Sachverhalt zu komplex halten würde um brauchbare Sozialtheorien zu formulieren. Doch sollte nicht vergessen werden, dass sich eine Gruppe aus einer Vielzahl an Individuen zusammensetzt, und diese untereinander und mit der Gruppe als Bezugsrahmen in ständigem Kontakt und Wechselwirkung sind. Dies bedeutet einerseits, dass das Gruppen-Modell ebenfalls eine Vereinfachung der Realität ist; und andererseits, dass sich Gruppenidentitäten ständig mit den Menschen weiterentwickeln und verändern. Dies ist auch bei der ethnischen Identität der Fall: jegliche Identität ist ein ständiger Akt des Aushandelns von Selbstpositionierungen von Individuen und Gruppen.

Im Prozess des Konstruierens keltischer Kultur spielt noch ein weiterer Faktor eine wichtige Rolle. Je nach dem aus welcher Perspektive die Kultur beschrieben wird (von außen/von innen; bzw. vom Zentrum/von der Peripherie) können andere Elemente/Faktoren betont werden und unterschiedliche Kultur-Bilder generiert werden. Beschreibungen keltischer Kultur in Antike sowie in der Moderne wurden allesamt aus einer zentralisierten Perspektive von außen formuliert. "Die Kelten" scheinen so schon immer an den Rand gedrängte, unterdrückte Bevölkerungsgruppen gewesen zu sein, obwohl diese Formulierung nicht zwingend den Tatsachen entsprechen muss. Da eine Beschreibung von innen in der Antike gänzlich fehlt, lässt sich auch nicht feststellen, inwiefern dies von "den Kelten" selbst auch so wahrgenommen wurde. Die Rezeption dieser Beschreibungen der "Kelten" liefern hervorragenden Stoff für die Konstruktion moderner, auf uralte Wurzeln zurückgehende Identitäten von kulturellen Randgruppen Europas (z.B. von Sprecher keltischer Sprachen).

Die Gründe für die Zurückführung von Traditionen und kulturellen Elementen auf keltische Vorfahren können mannigfach sein. Wichtig ist zu betonen, dass es sich in jedem Fall um modern konstruierte Kontinuitäten handelt. Im Zuge der modernen Auseinandersetzung mit den "keltischen" kulturellen Elementen (wissenschaftlich), bzw. des Wiederaufgreifen derselben im Alltag, werden diese neu kontextualisiert und instrumentalisiert. Die Identifizierung der kulturellen Elemente sowie deren Wertung hängen von der Perspektive des Betrachters ab, sowie von seiner theoretischen und ideellen Positionierung (theoretischer und methodologischer Rahmen; Zweck der Untersuchung/Aussagen). Die Herstellung von Kontinuitäten basiert meist auf einfache Analogieschlüsse, deren Bedeutungsgrad zu hinterfragen ist. Das Festmachen des Ursprungs von Traditionen und dessen, was soziale Gruppen wirklich ausmacht (das Authentische) ist ein relativ einfaches und effektives Mittel um (Macht-)Positionen zu begründen, zu stärken und zu erhalten. Kontinuität vermittelt ein gewisses Grad an Sicherheit: "das war schon immer so" bedeutet die Beibehaltung von alt bewährtem.

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Über mich

Wien, Austria
Junior Researcher at AIT, Austrian Institute of Technology in Vienna.